02. Aug. 2024
Alfred Tatar: Die Bundesliga zwischen Penetranz, Obstruktion und Mischkulanz
Alfred „Fredl“ Tatar ist seit vielen Jahren für seine originellen Analysen im „Sky“-Studio bekannt. Auch für die Vorschau auf die neue Saison der ADMIRAL Bundesliga hat er einen ungewöhnlichen Ansatz gewählt. Auf bundesliga.at erklärt er, was er unter Penetranz, Obstruktion und Mischkulanz versteht.
Fredl, du hast bei einer Sky-Veranstaltung die Klubs der Bundesliga einer „systemischen Analyse“ unterzogen und dabei die zwölf Teams in drei Gruppen eingeteilt – in Penetranz, Obstruktion und Mischkulanz. Würdest du uns das genauer erklären?
Mit Penetranz meine ich die Stärke, das eigene Spiel durchzusetzen. Zu dieser Gruppe zähle ich jene Teams, die über eine solche Kaderstärke und Dominanz verfügen, dass sie in jedes Spiel gehen können, um es zu gewinnen. Dazu gehören wahrscheinlich wenig überraschend Sturm Graz und Red Bull Salzburg, wobei die Grazer die Penetranz ihrer Intensität verdanken, die ihr Spiel auszeichnet, während Salzburgs Penetranz vor allem auf der Wucht seiner Offensivkräfte beruht. Zur Gruppe der Penetranz zähle ich aber auch die Hartberger, die ihr Spiel, bedingungslos durchziehen und – komme was wolle – von hinten heraus einen schönen Fußball spielen. Markus Schopp hat einen klaren Plan, hat sich wieder eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen zusammengestellt und wird wieder in der Meistergruppe landen.
Erklärst du uns noch die anderen beiden Gruppen, bevor wir auf die einzelnen Klubs eingehen?
In der Gruppe der Obstruktion sind die Teams, die das Spiel des Gegners verhindern wollen. Ihre Erfolgsaussichten sind auf gute Organisation und physische Dominanz aufgebaut, sie sind diszipliniert, physisch auf der Höhe, widerstandsfähig. Das sind die Mannschaften, die permanent lästig sind und dadurch den stärker eingeschätzten Teams das Leben schwer machen. Dazu zähle ich die WSG Tirol, Altach, jetzt auch den GAK. Wobei mit der Einteilung in diese Gruppe nicht gesagt ist, dass diese Klubs nur für die Abstiegsgruppe infrage kommen.
Und als dritte Gruppe gibt es noch die Mischform aus den ersten beiden, die Mischkulanz. Das sind die Mannschaften, die beide Elemente vereinen und je nach Gegner ihre eigene Spielphilosophie durchbringen oder eben lästig sein wollen. Die Blüte der Mischkulanz war in der vergangenen Saison Austria Klagenfurt. Die Truppe von Peter Pacult war so lästig wie keine andere, hat aber oft auch ihr eigenes Spiel durchgebracht und vorne ihre Nadelstiche gesetzt. Das hat vor allem Red Bull Salzburg im letzten Duell erkennen müssen. Trotz 0:2-Rückstands sind die Klagenfurter so lästig geblieben, dass sie noch 4:3 gewonnen und Salzburg wohl den Meistertitel gekostet haben.
Wenn jetzt Leistungsträger Karweina, Wimmer und Irving weg sind, kann das noch einmal gelingen?
Ich habe höchstes Vertrauen in Peter Pacult. Er hat jetzt schon drei Jahre lang für jedes Spiel den richtigen Ansatz gefunden, er bringt das nochmal hin. Es gibt in der ganzen Bundesliga sowieso nur zwei Trainer mit Ecken und Kanten. Der eine ist Peter Pacult, der andere Didi Kühbauer. Deshalb perlt der Schweiß, den sie erzeugen auch nicht wie bei anderen ab wie auf Teflon, sondern sammelt sich in den Furchen und kann zur Sintflut werden, die die Gegner wegwäscht.
Ob Salzburgs neuer Trainer Pepijn Lijnders Ecken und Kanten hat, wissen wir noch nicht, was wir wissen, ist, dass er der prominenteste Neuzugang ist. Wird das reichen, um den Titel zurückzugewinnen?
Es stimmt, den Kracher, wie es Gourna-Douath oder Oscar Gloukh waren, gab es bisher nicht. Entscheidend werden aber ohnehin Konaté und Fernando sein. Wenn Fernando fit ist, ist er kaum aufzuhalten, bei Konaté sind die 19 Tore aus der Vorsaison noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Wenn Salzburg eine Achillesferse hat, dann in der Abwehr, überhaupt wenn, wie sich abzeichnet, nach Pavlovic auch noch Solet gehen sollte. Dem Trainer eilt ein guter Ruf voraus, aber er steht erstmals in der ersten Reihe, das ist etwas ganz anderes, als Co-Trainer zu sein, auch wenn er es hinter Jürgen Klopp war.
Wie sehr kann die Champions League auf Kosten von Sturms Intensität gehen?
Die kann natürlich Einfluss haben, die Intensität ist das Fundament in Ilzers Spiel, aber auch Fundamente können bröckeln. Es weiß auch keiner, ob die Standards wieder so greifen wie in der Meistersaison.
Hat Andi Schicker wieder neue „Aktien“ à la Højlund gefunden?
Entwickeln und verkaufen ist der falsche Ansatz, im Titelkampf sind Verstärkungen und nicht Ergänzungen gefragt. Die Idee, Talente zu produzieren und gut zu verkaufen, hat einst Ajax erfunden. Salzburg hat das System nahezu perfektioniert. Aber das ist nicht mehr der Schlüssel zum Erfolg. Man braucht den Spieler X, weil er dem Team hilft, nicht weil man ihn in zwei Jahren vielleicht gewinnbringend verkaufen kann. An Sturms Meistertitel hatten ja auch weniger die Bøvings oder Wlodarczyks den größten Anteil, sondern die routinierte Achse Wüthrich, Gorenc Stankovic und Kiteishvili. Wofür er auf jeden Fall den richtigen Ansatz gefunden hat, ist die richtige Torhüter-Philosophie. Es braucht Torleute mit Präsenz, die hat Schicker in den letzten zwei Jahren mit den großen Leihspielern aus England immer gefunden.
Wie weit werden Rapid und der LASK in den Titelkampf eingreifen können?
Die beiden gehören zur Mischkulanz. Beide haben viele Möglichkeiten, lästig zu sein. Der LASK hat gezeigt, dass er daheim jeden schlagen kann. Er kann sein Spiel durchbringen, aber auch dem Gegner das Spiel wegnehmen. Wenn er in jedem Spiel die richtige Balance findet, kann der LASK auch Meister werden. Das gilt auch für Rapid. Robert Klauß hat schon bisher je nach Gegner zwischen Penetranz und Obstruktion variiert. Wenn er es versteht, in jedem Spiel die richtige Dosis zu finden, steht Rapid die Welt offen. Die Spieler dafür hat er. Aber auch die Austria kann so performen wie Rapid.
Dank Dragovic?
Auch. Er ist ein phantastischer Verteidiger, von dem nicht nur die Jungen profitieren, er wird auch gestandene Spieler wie Gruber, Fischer oder Fitz mitnehmen. Deshalb glaube ich, dass die Austria eine gute Saison spielen wird.
Aufsteiger GAK wird die Liga halten?
Der GAK hat den Bonus der Aufstiegs-Euphorie und dadurch eine hochmotivierte Mannschaft. Es gibt aber auch einen Aufsteiger-Malus. Dann nämlich, wenn man so weiter spielen will, wie in der Aufstiegssaison. Wenn man nicht giftig genug ist, um Widerstand leisten zu können. Blau-Weiß Linz hat in der vergangenen Saison auch einige Runden gebraucht, um sich darauf einzustellen. Erst als die Linzer eingesehen haben, dass sie obstruktiv vorgehen müssen, haben sie angefangen zu punkten. Das wird beim GAK nicht anders sein.
Fotos: GEPA pictures