06. Aug. 2024
Sturm in der neuen Knigsklasse
Die neue Saison bringt ein komplett neues Europacup-Format. Das Bundesliga-Journal hat Geschichte und Zukunft der Champions League unter die Lupe genommen und beantwortet die wichtigsten Fragen zum neuen System.
Wie war es früher?
Bis in die frühen 1990er war der Europacup eine weitgehend unkomplizierte Angelegenheit. Die Meister der nationalen Ligen spielten im Europapokal der Landesmeister gegeneinander, die Cupsieger im Europapokal der Cupsieger, alle weiteren Klubs im UEFA-Cup. Es gab ausschließlich K.o.-Duelle – der Sieger stieg auf, für den anderen Klub war die Europacupsaison beendet.
Wann wurde das geändert?
Die Einführung der Gruppenphase im Europapokal der Landesmeister 1991/92 und dessen Rebranding zur Champions League eine Saison später stellte eine Zäsur im internationalen Fußball dar. Durch die Gruppenphase gab es mehr große Spiele, mehr Planbarkeit, bessere Vermarktung und viel größere Erlösmöglichkeiten. Der Austragungsmodus der Champions League wurde in der Folge einige Male geändert – so gab es beim letztmaligen Antreten von Sturm in der Königsklasse 2000/01 nach der Gruppenphase in der Vorrunde noch eine weitere in der Zwischenrunde. Die letzten 20 Jahre wurde mit acht Vorrunden-Gruppen und K.o.-Duellen ab dem Achtelfinale gespielt.
Seit wann spielen nicht nur Champions in der Königsklasse?
Ab 1997 durften die Vizemeister großer Ligen und in weiterer Folge auch Dritt und Viertplatzierte (abhängig von der Platzierung der jeweiligen Nation in der UEFA-Fünfjahreswertung) sowie der Gewinner der Europa League an der Champions League teilnehmen. Dies verstärkte – befeuert durch eine ungleiche Geldverteilung – die Dominanz der Großen. Sie stellten fortan einen Großteil des Starterfeldes und dominierten den Bewerb. Sportliche Überraschungen wurden deutlich seltener: In den 27 Saisonen seit der Änderung 1997 kam mit dem FC Porto (2003/04) nur ein Finalteilnehmer aus einer Liga außerhalb der „Big 5“ (England, Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich). In den 27 Jahren davor war dies noch 15-mal der Fall gewesen.
Was ändert sich mit der neuen Saison?
Die Gruppenphase wird zur Ligaphase. Künftig gibt es keine Einzelgruppen mehr, sondern eine gemeinsame Liga aller – zukünftig 36 – Teilnehmer. Man konkurriert nicht mehr mit drei Klubs innerhalb seiner Gruppe, sondern mit allen anderen 35 Teilnehmern in einer gemeinsamen Ligatabelle. Jeder Klub spielt zukünftig gegen acht Gegner – diese werden aus den vier bekannten Lostöpfen zugelost, je zwei pro Topf. Neu ist, dass man damit zukünftig auch gegen Gegner aus seinem eigenen Lostopf antritt. Gegen einen Gegner pro Lostopf spielt man zuhause, gegen den anderen auswärts. Ergibt insgesamt vier Heim- und vier Auswärtsspiele gegen acht unterschiedliche Gegner. Die Ergebnisse aus allen Spielen fließen in eine gemeinsame Tabelle aller Klubs ein.
Was bedeutet das für Österreich?
Sturm Graz steht als österreichischer Meister als Champions-League-Teilnehmer fest (Red Bull Salzburg könnte über den Qualifikationsweg noch als zweiter heimischer Vertreter dazukommen) und geht aus Lostopf 4 ins Rennen. Im alten System hätte Sturm je einen Gegner aus den Töpfen 1, 2 und 3 erhalten und gegen diese je einmal zuhause und einmal auswärts gespielt. Im neuen System bekommt Sturm je zwei Gegner pro Topf – auch aus dem eigenen Topf 4 und damit zwei Gegner, die ungefähr der eigenen Spielstärke entsprechen. Gegen jeden der acht Gegner spielt Sturm einmal, entweder zuhause oder auswärts. So könnten die Grazer in einem zufällig gewählten Beispiel aus Topf 1 Liverpool und Real Madrid zugelost bekommen und würden gegen Liverpool nur auswärts und gegen Real nur zuhause spielen. Dasselbe Prozedere gilt auch für die sechs weiteren Gegner. Alle Ergebnisse fließen in eine Gesamttabelle ein, es gibt keine eigene Gruppentabelle mehr.
Wer steigt in die K.o.-Phase auf?
Die ersten Acht der Gesamttabelle qualifizieren sich direkt fürs Achtelfinale, die Plätze 9 bis 24 Spielen in einer Zwischenrunde um die verbleibenden acht Plätze im Achtelfinale. Ab hier findet alles im bewährten K.o.-Modus mit Hin- und Rückspiel statt.
Was passiert mit den anderen Klubs?
Für die Klubs ab Rang 25 ist die Europacupsaison beendet. Einen Umstieg in andere Bewerbe (wie früher für die Gruppendritten in die Europa League) gibt es nur mehr in der Qualifikationsphase, ab der Ligaphase findet jeder Bewerb für sich statt.
Wie wird in der Europa League und der Conference League gespielt?
In beiden Bewerben kommt dasselbe System wie in der Champions League zum Einsatz. Der einzig relevante Unterschied ist, dass man in der Ligaphase der Conference League nur gegen sechs unterschiedliche Gegner antritt.
Was ist die Überlegung dahinter?
Auf sportlicher Ebene erhofft sich die UEFA eine Steigerung der Spannung. Sportliche Vorentscheidungen mit einem bedeutungslosen letzten Spieltag, die in der Gruppenphase zuletzt bereits häufiger an der Tagesordnung standen, sollen damit der Vergangenheit angehören. Die Gesamtzahl der Europacupteilnehmer steigt von 96 auf 108, es werden mehr Nationen als bisher in den Hauptbewerben vertreten sein. Das neue System bringt mehr Spiele (und macht den Kalender noch voller als bisher)–und damit natürlich auch mehr Einnahmen.
Was ist vom neuen System zu erwarten?
Das neue System wird komplexer und abwechslungsreicher. Gab es früher drei Gegner in der Gruppe, kann Sturm sich in der neuen Champions League auf acht unterschiedliche Paarungen und damit zwei Spiele mehr als bisher freuen. Ein Wermutstropfen kann sein, dass man jeden Gegner in der Ligaphase nur zuhause oder auswärts bespielt. Dadurch fallen im Einzelfall emotional gesehen vielleicht die eine oder andere schöne Auswärtsreise oder ein attraktives Heimspiel sowie die Möglichkeit zur sportlichen Revanche weg. Ein breiter Fußballhorizont kann auch nicht schaden, denn es reicht nicht mehr, nur über die Konstellation der eigenen Gegner Bescheid zu wissen, da auch die Ergebnisse aller anderen Spiele – auch jener Klubs, gegen die man selbst gar nicht spielt – die eigene Tabellenplatzierung beeinflussen. Die Livetabelle am Smartphone wird zum gefragten Begleiter im Stadion werden.
Fotos: GEPA pictures