Baumeister & Grünwald im Generationen-Talk Teil 2: „Klar war das Standfußball“

3. October 2023 in ADMIRAL Bundesliga

50 Jahre Bundesliga – eine Zeitspanne, in der das Spiel mit all seinen Facetten einer Revolution unterzogen wurde. Trainingsmethoden, Regeln, das Drumherum mit Social Media & Co. So gut wie nichts ist heute mehr so, wie es in den Kindertagen der Liga war. Wir baten daher zwei Austria-Legenden an einen Tisch, um im „Clash der Generationen“ einen Vergleich der Zeiten zu wagen. Ernst Baumeister (66) kickte seit Liga-Start 1974 bei den Violetten, wurde achtmal Meister und stürmte ins Europapokalfinale 1978. Alexander Grünwald war bis Sommer 2022 Kapitän der Veilchen, wurde einmal Meister und arbeitet heute im Marketing des Klubs. Im zweiten Teil des Interviews dreht sich alles um Regeländerungen, Fans und die damaligen Vertragssituationen. 

 

Auch die Regeln haben sich geändert. Rückpassregel, gelb-rote Karte, passives Abseits, Drei-Punkte-Regel, fünf statt zwei Wechsel… Alex, gibt es Dinge, die du früher besser fandest?

Grünwald: Ich bin mit den Änderungen schon ganz zufrieden. Dass der Tormann einen Rückpass aufnehmen konnte, war ja ein Wahnsinn, damit konnte man das Spiel total verschleppen.

Baumeister: Diese Regel war sehr wichtig! Wenn du geführt hast, konntest du so dem Gegner locker zehn Minuten stehlen. Und das Spiel wurde dadurch extrem langsam. Deswegen müssen die Tormänner heute im Vergleich zu früher auch viel besser Fußball spielen können. Im Aufbau ist der Tormann der elfte Feldspieler. Wir hatten damals sehr gute Torleute, aber auf den Fuß brauchtest du sie nicht anzuspielen.

Passives Abseits gab es auch nicht.

Baumeister: Nein. Wenn der Pass nach links kam und du standst rechts im Abseits, wurde abgepfiffen. Diese Änderung war schon gut. Womit ich mich heute schwertue, ist, wenn ein Spieler erst im nicht strafbaren Abseits steht und in der nächsten Situation dann das Tor schießt. Da kennst du dich als Verteidiger nicht mehr aus.

Hatte die Änderung von zwei auf drei Punkten pro Sieg große Auswirkungen?

Grünwald: Ich finde gut, dass der Sieg dadurch aufgewertet wurde.

Baumeister: Stimmt! Früher haben sich Mannschaften gegen uns hinten reingestellt und waren von Vornherein mit einem Punkt zufrieden. Der Punkt ist heute aber weniger wert. Zwei Remis und dreimal verlieren bringt weniger als ein Sieg und viermal verlieren. Das ist schon ein Unterschied.

Grünwald: Ich bin auch ein Befürworter davon, dass mittlerweile fünf Auswechslungen erlaubt sind. Es gibt nicht nur mehr Spiele, auch die einzelnen Matches dauern länger als früher. Der moderne Fußball bringt mehr Verletzungen mit sich, alles ist intensiver, da ist es ein Mittel zur Belastungssteuerung. Außerdem ist es gut, wenn mehr Kaderspieler zum Einsatz kommen, wobei ich schon weiß, dass Mannschaften mit größerer Kadertiefe davon profitieren. Ich wusste gar nicht, dass es zu deiner Zeit nur zwei Wechsel gab, Ernst.

Baumeister: Das war so. Tempo, Athletik, viele Spiele, zum Teil bei Hitze, da sind fünf Wechsel schon sinnvoll. Wenn bei uns schon zweimal gewechselt wurde und sich dann ein Spieler verletzt hat…

Grünwald: … dann hat er eben mit einem Kreuzbandriss weitergespielt, oder? (beide lachen)

Baumeister: … dann musste man das Spiel mit zehn Mann beenden. Das kam durchaus öfter vor.

Krass verändert hat sich die Stimmung in den Stadien. Zu Baumeisters Zeiten gab es noch keine Ultras…

Baumeister: … aber geschimpft wurde trotzdem genug.

Wann war die Stimmung besser?

Baumeister: Es war einfach anders. Was heute gut ist: Du fährst mit dem Bus ins Stadion bis zu den Kabinen. Wir mussten damals mit Polizeieskorte zu Fuß durch die gegnerischen Fans gehen, da gab es nicht nur aufmunternde Worte. Wobei ich das Gefühl habe, dass der Umgang der Fans mit den Spielern heute noch weniger zimperlich ist als früher.

Grünwald: Hier bei der Austria muss man sagen: Wir hatten gegen Klagenfurt 13.000 Leute im Stadion, die Ost-Tribüne ist mit Abos ausverkauft, die Fans machen eine super Stimmung – das ist schon ein Erlebnis. Wie in Amerika schon lange üblich, wird auch hier mittlerweile ein Rahmenprogramm geboten, in das das Spiel eingebettet ist. Dass trotzdem manchmal gemeckert wird, gehört dazu.

Baumeister: Was dazu kommt: Ein durchschnittliches Match vor einer guten Kulisse wirkt wie ein gutes Match. Ein gutes Match ohne Fans wirkt dagegen gar nicht. Das hat man bei Corona gesehen.

Als zu Beginn die Frage im Raum stand, ob einer von euch lieber zur Zeit des anderen Profi gewesen wäre, hat niemand das Thema Geld angesprochen. Hättest du, Alex, auch zu den niedrigeren Gagen von früher gerne als Profi gespielt?

Grünwald: Wenn du als Kind beginnst zu kicken, dann deswegen, weil es das schönste Spiel ist, weil es Spaß macht, weil du motiviert bist zu gewinnen. Da steht nicht das Geld im Vordergrund. Als ich klein war, wollte ich es unbedingt in die Bundesliga schaffen, das war mein Antrieb. Klar verdienen Spieler heute mehr als zu Ernsts Zeiten, aber im internationalen Vergleich ist es auch wieder um Längen weniger, als was die meisten Menschen sich vorstellen, obwohl man natürlich gut davon leben kann. Antrieb war aber immer die Leidenschaft für das Spiel.

Baumeister: Das ist so! In der Volksschule wurden wir gefragt, was wir werden wollen, und ich habe gesagt: Fußballer. Dann sagte die Lehrerin: Ernst, das ist doch kein Beruf! Darauf ich: Ich werde aber trotzdem Fußballer. Ich sage immer zu meinen Spielern: Denkt nicht über Geld nach. Wenn ihr gut seid, kommt das Geld von allein. Heute verdienen die Fußballer mehr, dafür war das Leben früher billiger. Fakt ist: Wir konnten mit unserem Verdienst gut leben, das können die heutigen Fußballer auch. Was ich schön finde: Ich bin 66 Jahre alt und habe seit meinem 17. Lebensjahr nie etwas anderes gemacht als Fußball. Ich springe irgendwann in die Kiste und kann sagen: Ich habe alles erreicht, was ich wollte.

Hat sich am System mit Fixum und Punkteprämien irgendetwas gravierend geändert?

Grünwald: Nein, es gibt immer noch Punkteprämien als Anreizsystem. Aber das ist ein gutes Beispiel für die vorige Frage. Ich dachte nie während des Spiels: Wenn ich jetzt ein Tor schieße, bekomme ich eine Punkteprämie. Nein, das Gefühl zu gewinnen war einfach geil! Beim Heimgehen denkst du vielleicht: Ach ja, die Punkteprämie gibt es auch, noch besser.

Baumeister: Ich dachte auch nie: Ich muss gewinnen, um die Prämie zu bekommen. Aber klar: Wenn am Ersten des neuen Monats Zahltag war, hast du dich schon darüber gefreut.

Karl Daxbacher hat mal erzählt, dass es ein großes Geheimnis in der Kabine war, wie hoch die Prämien der anderen waren.

Baumeister: Das scheint mir ein Unterschied zu heute zu sein. Obwohl wir früher alle gut befreundet waren, wusste keiner vom anderen, was er verdient. Heutzutage weiß es jeder vom anderen.

Grünwald: Bei uns war es nicht ganz so. Es gab Zeiten, da wurde mehr über Gagen geredet und Zeiten, wo es eher ein Tabuthema war.

Baumeister: Bei mir in der Regionalliga weiß es jeder. (Anm.: Baumeister ist Sportdirektor beim FC Marchfeld in der Regionalliga Ost) Früher wurde maximal hinter vorgehaltener Hand getuschelt, aber nichts Konkretes.

Grünwald: Heute ist es bei Vertragsverlängerungen schon so, dass man mal bei seinem Kabinennachbarn nachfragt. Aber so offen, wie Ernst es beschreibt, haben wir nicht drüber geredet.

Das Bosman-Urteil wurde auch bereits angesprochen. Als Ernst Profi war, musste man bei einem Wechsel eine sogenannte „Stehzeit“ befürchten, wenn sich die Klubs nicht einig wurden. Oder man konnte einfach nicht wechseln.

Baumeister: Ich hätte schon die Möglichkeit gehabt, ins Ausland zu gehen. Das kam aber nie zustande, weil mich die Austria nicht ziehen ließ. Tottenham, Lazio, da waren schon ein paar spannende Angebote dabei. Bei Joschi Walter war es so: Wenn er einen Spieler ins Ausland verkauft hat, meinte er, jetzt verkaufen wir keinen mehr, wir können ja zwei Jahre davon zehren.

Grünwald: Es ist schon ein riesiger Vorteil, als Spieler selbst die Zügel in der Hand zu halten. Bei mir war es aber immer so, dass ich den Vertrag spätestens ein halbes Jahr, bevor er auslief, verlängert habe. Ich bereue es aber auch nicht, dass es mit dem Ausland nicht geklappt hat, sondern sehe es als Privileg, dass ich so lange für die Austria spielen durfte.

Reden wir zum Abschluss über Social Media. Stimmt das Vorurteil, dass die meisten Spieler kurz nach dem Match in der Kabine sitzen und auf den sozialen Netzwerken unterwegs sind?

Grünwald: Das bringt unsere Zeit an sich mit. Wenn man heute um 20 Uhr in jedes Wohnzimmer oder in jeden Bus schauen würde, hätten auch 80 Prozent der Menschen das Handy in der Hand. Das ist einfach das digitale Zeitalter. Wenn ich ehrlich bin, hat es mir auch oft nicht gepasst, wenn Spieler nach Niederlagen sofort zum Handy greifen und ihre Timeline bei Instagram durchscrollen. Man kann das aber nicht pauschalieren. Manche legen viel Wert auf ihren Auftritt, andere haben keinen Account, wieder andere wollen nach einem Spiel eine Stunde lang allein sein, um Sieg oder Niederlage zu verarbeiten.

Baumeister: Wir hatten diese Möglichkeit gar nicht…

Grünwald: Du bist noch rausgegangen zur Telefonzelle…

Baumeister: Das kennen die jungen Leute doch gar nicht mehr. Wenn bei mir wer nach dem Spiel gleich zum Handy greift, frage ich immer, ob wer gestorben ist oder was sonst so wichtig sein kann. Wir saßen früher im Bus und es gab mindestens vier Partien, die Karten gespielt haben. Heute ist jeder mit sich selbst beschäftigt. Man redet weniger miteinander, was mich manchmal etwas traurig macht. Ich jedenfalls brauche mein Handy nur zum Telefonieren, sonst gar nix.

 

Den ersten Teil des Interviews findet Ihr hier:

 

Fotos: Gepa pictures, Votava / brandstaetter images / picturedesk.com

Redakteur: Markus Geisler
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