09. Aug. 2024
Der Zweikampf der Gipfelstrmer
Das Herzschlagfinale der vergangenen Saison macht Lust auf mehr. Sturm Graz und Red Bull Salzburg wollen den Fans auch in der kommenden Saison im Kampf um den Titel Spannung und Dramatik bieten. Dafür haben sich die beiden Top-Teams der ADMIRAL Bundesliga bestens gerüstet. Einblicke in ein Duell, das nichts für schwache Nerven ist.
2.859 von 2.880 möglichen Minuten waren in der vergangenen Saison der ADMIRAL Bundesliga absolviert – und es hing immer noch am seidenen Faden, wer gut 20 Minuten später den Meisterteller in die Höhe stemmen darf. Serienmeister Red Bull Salzburg, der in der letzten Runde den LASK mit 7:1 düpierte und für den es der elfte Titelgewinn in Folge gewesen wäre? Oder Herausforderer Sturm Graz, der dringend einen Sieg gegen Klagenfurt benötigte, bis zur 69. Minute aber nicht über ein 0:0 hinauskam? „Ich bin in dieser Phase um ein paar Jahre gealtert“, erinnert sich Sturm-Sportchef Andreas Schicker an die bangen Minuten, ehe Gregory Wüthrich die „Schwoazn“ mit einem entwiwuchtigen Kopfball nach Ecke von Tomi Horvat erlöste. Und in Liebenau kurz darauf alle Dämme brechen ließ, wie die emotionalen Feierbilder an diesem und den folgenden Tagen zeigten.
Es war ein Finish, wie man es hierzulande lange nicht mehr erlebt hat. Zu dominant das Auftreten der „Bullen“ in den letzten Jahren, zu inkonstant das Bemühen der Konkurrenz, dem Favoriten ein Bein zu stellen. Doch dank eines über Jahre lancierten und mit Akribie verfolgten Prozesses gelang es nun dem SK Puntigamer Sturm Graz, den Teller in die Steiermark zu holen und die Vorherrschaft der Salzburger (vorerst) zu brechen. Als einmaliger Akt, als Once-in-a-Lifetime-Geckeln
Coup auf der Trainerbank
Doch einer will das mit aller Macht verhindern: der entthronte Serienmeister Red Bull Salzburg. Der Stachel der Niederlage saß tief, erst recht, da man in der 24. Runde das direkte Duell mit 1:0 gewann und mit fünf Punkten Vorsprung in das Finish der Meisterrunde ging. „Was dann passierte, wie wir das noch aus der Hand geben konnten, kann ich mir bis heute nicht erklären“, ist der damalige Goldtorschütze Mads Bidstrup immer noch ratlos. Doch die verpasste Meisterschaft spornt alle Beteiligten an, die Scharte auszuwetzen und sich den Platz an der Sonne zurückzuholen. Denn zweimal nacheinander den Titel nicht zu gewinnen, das gab es in der 2005 gestarteten Red-Bull-Ära noch nie. Oder wie es Tormann Alexander Schlager formuliert: „Es ist ganz klar unser Ziel, wieder Meister zu werden. Letzte Saison waren wir nicht konstant genug, Sturm hat das fantastisch gemacht. Es ist passiert und wir wissen, dass wir uns diesen Titel und den Cup-Titel wieder zurückholen wollen. Mit dem Anspruch, den wir bei Salzburg haben, dürfen wir uns das ruhig zumuten.“
Um das Ziel zu erreichen, hat man auf der Trainerbank einen ganz besonderen Coup gelandet. Vom großen FC Liverpool wurde der Niederländer Pepijn Lijnders verpflichtet. Ein enger Vertrauter von Jürgen Klopp, der mit seiner Art, wie er über Fußball denkt, ein perfektes Match ist. „Pep sagte mir, dass ihn die Idee, wie Salzburg spielen will, von Anfang an überzeugt hat“, sagt Maarten Wijffels, Chef-Reporter beim Algemeen Dagblad und langjähriger Begleiter des Trainers. „Er hat richtig Lust, die Stars der Zukunft mitzukreieren und dabei Spieler zu formen, die in der Top-Elite des Weltfußballs gefragt sind.“ Dabei weiß der 41-Jährige ganz genau, dass die Entwicklung das eine, der Ausbau der Trophäen-Vitrine das andere ist. „Die Spieler kommen hierher, damit sie um Titel kämpfen. Dabei machen sie ihre größten Schritte. Das ist genau das, was wir wollen“, sagte Lijnders bei seiner Vorstellung.
Und gibt damit die Marschroute für die kommende Saison vor. Denn auch Bernhard Seonbuchner, seit knapp einem Jahr als Sportdirektor in der Verantwortung, macht unmissverständlich klar: „Zu einer erfolgreichen Entwicklung eines Spielers gehört es, die gesetzten Klubziele zu erreichen. Eines unserer Klubziele ist auch diesmal wieder, Titel zu gewinnen. Das haben wir stets klar kommuniziert und tun es auch diesmal.“ Und weiter: „Dabei hilft natürlich eine positive Entwicklung der Mannschaft, der einzelnen Spieler. Je besser sich die Jungs entwickeln Geckeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, Titel zu gewinnen.“
Auch wenn Lijnders mit einer kurzen Unterbrechung zehn Jahre an der Anfield Road im Hintergrund die Weichen stellte – die Verantwortung als Cheftrainer ist nun eine andere. Bei seinem bisher einzigen Versuch als Chefcoach feierte er 2018 beim damaligen niederländischen Zweitligisten NEC Nijmegen keine großen Erfolge und strich nach 22 Spielen die Segel. „Er war es gewohnt, mit Mo Salah zu arbeiten und hatte plötzlich Spieler, die holländisches Zweitliga-Niveau hatten“, lässt Maarten Wijffels Milde walten. Und erzählt, dass Jürgen Klopp selbst dafür sorgte, dass Lijnders auch Luft aus der ersten ersten Reihe schnuppern konnte. „Bei Spielen im League Cup ließ er ihn manchmal die Pressekonferenzen vor und nach den Spielen absolvieren. So hat er den Umgang mit der nicht gerade zimperlichen englischen Presse gelernt. Das hat ihn ganz bestimmt weitergebracht.“ Und auch Seonbuchner ist voll und ganz überzeugt: „Die Gespräche mit Pepijn Lijnders waren ausgezeichnet, und es gab eine große Übereinstimmung über die Art und Weise, wie wir auftreten, was wir als Klub darstellen und wohin wir gemeinsam gehen wollen. Mit ihm haben wir unseren absoluten Wunschkandidaten für die Trainerposition geholt.“
Klare CI bei Sturm Graz
Während Lijnders also Neuland mit der ADMIRAL Bundesliga betritt und sich so manche Abläufe erst einschleifen müssen, geht Sturm mit einer ganz klaren CI in die
Saison. In diesem Falle sogar mit einem CI, denn Christian Ilzer steht vor seiner fünften Saison als Headcoach der Grazer. Dabei bemerkenswert: In jedem einzelnen Jahr seiner Bundesliga-Karriere vermochte er seine Punkteausbeute zu steigern, bis hin zu den 67 Zählern – ohne Teilung – der Meistersaison (siehe Grafik). Gelingt es ihm, diesen Trend fortzusetzen, wird es ganz schwer werden, den Titelverteidiger im kommenden Jahr vom Thron zu stoßen.
Wobei der Trainerfuchs clever genug ist, mit der Erwartungshaltung eher in die kontrollierte Offensive als ins bedingungslose Gegenpressing zu gehen. „Wer glaubt, dass wir vergangene Saison am Gipfel waren, täuscht sich. Es war lediglich eine Stufe“, sagt der 46-Jährige, der vergangene Saison zum besten Trainer gewählt wurde. „Wir haben auch in Zukunft ambitionierte Ziele, die wir aber nicht nur an Ergebnissen, sondern auch an der Entwicklung messen. Im Herbst geht es für uns in erster Linie darum, eine gute Ausgangsposition zu schaffen.“ Sätze, die eine ausgeklügelte Mixtur aus Mut und Bescheidenheit darstellen und die einer wohl überlegten Strategie entspringen. Denn auch Ilzer weiß, dass die Bestätigung eines Zieles in der Regel schwieriger ist, als es einmal zu erreichen. Und dass man gerade im Erfolg die größten Fehler begehen kann, war schon immer das Mantra von Uli Hoeness, dem gewieften Macher des FC Bayern München. Wobei, die frühzeitige Vertragsverlängerung von Otar Kiteishvili, Spieler der abgelaufenen Saison, oder die fixe Verpflichtung von Mika Biereth vom FC Arsenal haben ohnehin klar gezeigt, wie groß die Ambitionen auch in der kommenden Spielzeit sind.
Wer ist Jäger, wer Gejagter ?
Spannend wird sein, wie sich die neu definierten Rollen von Jäger und Gejagtem in den kommenden Monaten entwickeln. Geht es nach dem Sportpsychologen Jörg Zeyringer, der mit Trainerstar Adi Hütter oder dem Radprofi Felix Gall zusammenarbeitet, wird es trotz der Wachablöse gar keinen großen Unterschied zur Vorsaison geben. „Salzburg wird nicht die Rolle des Jägers einnehmen, deren Selbstverständnis ist von Haus aus: Wir werden Meister!“ Dass mit Lijnders ein frisches Gesicht von einem bekannten Klub kommt, ist für ihn auch aus mentaler Sicht ein Vorteil. „Es kommt ein Hauch der großen internationalen Fußballwelt nach Salzburg. Und Lijnders kann völlig authentisch behaupten, mit dem Misserfolg der vergangenen Saison nichts zu tun zu haben, das kauft ihm jeder ab. Das ist eine sehr gute Ausgangsbasis.“
Und auch was Sturm Graz angeht, würde es Zeyringer für unklug halten, sich plötzlich als gejagter Branchenprimus zu positionieren. „Ich würde ihnen raten, die Favoritenrolle nach Salzburg zu schieben und das Credo auszugeben, dass man weiterhin nichts zu verlieren hat. Und es stimmt ja auch: Salzburg hat nach wie vor die besten Möglichkeiten, den Titel zu holen.“ Dabei hilft den Steirern, das Double im Rücken und damit einen riesigen Erfolg auf der Habenseite stehen zu haben. „Das kann ihnen keiner mehr nehmen, das würde ich der Mannschaft genau so verklickern.“ Im ganz kleinen Kreis seiner engsten Vertrauten, mutmaßt Zeyringer, wird sich Ilzer dagegen sehr wohl überlegen, wie er den Coup wiederholen kann. Damit an die Öffentlichkeit zu gehen oder es der Mannschaft aufzubürden, hielte er aber für unklug. „Es gibt ja keinen Grund, unnötigen Druck aufzubauen. Es geht auch in der nächsten Saison darum, möglichst locker und befreit aufzuspielen.“
Verbissenheit und Abwärtsspirale
Die Situation ist für beide Klubs keine unbekannte. 2011 gewann Sturm Graz letztmals den Titel und schaffte dabei ebenfalls das Kunststück, dem haushohen Favoriten aus Salzburg ein Bein zu stellen. In der Folgesaison konnte man den Erfolg allerdings nicht bestätigen. Aus den ersten neun Spielen wurden lediglich zwei Siege geholt, am Ende belegte Sturm den fünften Platz und verpasste das internationale Geschäft. „Uns haben damals Stützen wie Gordon Schildenfeld verlassen. Die, die geblieben sind, wollten den Standard hochhalten, kamen aber mit den gehobenen Ansprüchen nicht wirklich zurecht. Das führte zu Verbissenheit und einer Abwärtsspirale.
Es wurde von Spiel zu Spiel schwieriger, die Ansprüche mit der Realität zu verbinden“, erinnert sich Christian Gratzei, damals österreichischer Nationalkeeper und bärenstarker Rückhalt der Grazer. Eine Gefahr, die der derzeitige Tormanntrainer des TSV Hartberg bei der aktuellen Sturm-Konstellation nicht ortet. „Der heutige Kader ist breiter, die Qualität höher. Selbst wenn es den einen oder anderen Abgang gibt, wäre das zu verkraften. Und der Staff drumherum ist in seiner Denkweise ganz klar, ganz sauber, um den nächsten Schritt zu gehen.“ Für Gratzei wäre es eine Überraschung, wenn es in der kommenden Saison nicht wieder zu einem Zweikampf, vielleicht sogar zu einem Dreikampf kommt. „Salzburg hat einen ganz interessanten Trainer bekommen, auch der LASK hat sich gut verstärkt und kann vielleicht dazu rutschen. Das kann richtig spannend werden.“ Den Fans wäre es recht, das Herzschlagfinale der vergangenen Saison hat Lust auf mehr gemacht. Und auch wenn die finalen Kader wohl erst am Ende der Transferzeit Anfang September feststehen, kann man schon jetzt davon ausgehen: Der Gipfelsturm 2025 wird ein enges Kopf-an-Kopf- Rennen, dessen Ausgang so schwer vorherzusagen ist wie ein Gewitter in der schwülen Sommerhitze.
Fotos: GEPA pictures